Die Mundhöhle bietet eine reichhaltige Umgebung für das vielfältigste und stabilste Mikrobiom im menschlichen Körper [1]. Die Mundflora ist, wie auch das das Darmmikrobiom, ein essenzieller Teil des angeborenen Immunsystems des Menschen. Die dort ansässigen Mikroorganismen bestimmen das Gleichgewicht zwischen pathologischen und physiologischen Zuständen, die sich sowohl lokal, als auch systemisch auswirken können [2,3].
In Abhängigkeit der Ernährungsform und anderer Faktoren, wie z.B. Alter und Speichelfluss haben Pathogene unter Umständen ein leichtes Spiel, das Gleichgewicht zu stören. Die daraus resultierende Mikrobielle Dysbiose kann zu oralen Erkrankungen wie Karies, Gingivitis und Parodontitis führen.
Aber es geht noch weiter. Studien konnten zeigen, dass das orale Mikrobiom auch direkt mit der Entstehung, bzw. Verschlechterung von systemischen Infektionen, Abort, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus und Autoimmunerkrankungen assoziiert werden können [1,3].
Die größte Gruppe an Mikroorganismen im Mund stellen die Bakterien dar, welche sich in sogenannten Biofilmen (als Plaque auf den Zähnen) in der Mundhöhle anheften können [4]. Bakterien innerhalb eines Biofilms sind deutlich toleranter gegenüber Antibiotika, Antikörpern und antimikrobiellen Peptiden [5].
Insbesondere während der Aufnahme von zucker- und kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln kommt es zur Fermentation der Zucker durch die Bakterien, wodurch der pH-Wert innerhalb des Biofilms verringert wird und pathogene Bakterien wie Streptococcus mutans die Oberhand gewinnen können. Diese Bakterien produzieren wiederum Säure wodurch es zur Demineralisierung der Zahnoberfläche und damit zu Karies kommen kann [6,7].
Bei längerem bestehen kann die Plaqueschicht mineralisieren und zu Zahnstein werden, in Folge entsteht häufig eine Gingivitis, eine der häufigsten Erkrankungen des Mundraums [8].
Eine chronische Zahnfleischentzündung kann unter der Beteiligung von Gingivitis-auslösenden Bakterien wie Porphyromonas gingivalis zu einer Parodontitis fortschreiten. In den letzten Jahren ist der Zusammenhang von Parodontitis und systemischen Erkrankungen immer deutlicher geworden. Insbesondere Porphyromonas gingivalis, findet sich auch in den Plaques von Atherosklerosepatienten [9].
Der angeborene Teil des Immunsystems (Innate Immune System) bietet zahlreiche Abwehrkomponenten, um das Eindringen von Krankheitserregern durch die Mundhöhle in den Körper zu verhindern. Dazu gehören die Schleimhautbarriere, sowie einzelne Proteine, die sich in den Körperflüssigkeiten befinden, wie Lysozym und Lactoferrin [10].
Eine therapeutische Intervention in der Mundhöhle stellt angesichts der Vielfalt der dort ansässigen Mikroorganismen und des sensiblen Gleichgewichtes zwischen diesen Spezies eine große Herausforderung dar.
So viele antibakterielle Substanzen es gibt, so wenige gibt es, die in der Lage sind, einen bakteriellen Biofilm aufzulösen. Oft kann dieser Biofilm, wie beispielsweise auf den Zähnen, nur physisch entfernt werden. Es konnte bereits gezeigt werden, dass Biofilme bei sehr vielen Krankheiten eine Rolle spielen, von Krebs [3], chronischen Rückenschmerzen [11,12], Alzheimer [13], Asthma [9], bis zu rheumatoider Arthritis [9,14].
Lactoferrin zeigt jedoch ein sehr effizientes Clearing von Biofilmen, sogar von mehrfach resistenten Bakterien, wie Pseudomonas aeruginosa und vielen oralen Pathogenen [15].
Ein Review von 2018 beleuchtet die Rolle von Lactoferrin in der Behandlung unterschiedlichster Erkrankungen im oralen und maxillofaszialem Bereich genauer [2].
Antibakterielle Effekte
So zeigte Lactoferrin sehr gute Effekte gegen Streptococcus mutans, dem Hauptverursacher von Karies, sowohl während der Anheftung als auch bei der Bildung von Biofilmen.
Bei Parodontitis, eine weitere Manifestation von bakteriellen Infektionen in der Mundhöhle, vorwiegend initiiert durch die gram-negativen Bakterien Porphyrornonas gingivalis und Prevotella intermedia, zeigte sich Lactoferrin effektiv gegen beide Bakterienstämme, wenn auch durch etwas unterschiedliche Wirkmechanismen.
Antifungale Effekte
Candida albicans ist der häufigste Pilz in der Mundhöhle und kann verschiedenen systemische und lokale Krankheitsgeschehen auslösen, wie eine oropharyngeale Candidiasis und eine systemische Candidämie. Lactoferrin zeigte sich sehr effektiv bei der Wachstumshemmung von Candida albicans und konnte so für weniger schwere Krankheitsverläufe sorgen.
Antivirale Effekte
Eine der häufigsten viralen Infektionen der Mundschleimhaut erfolgt durch das Herpes-Virus. Nach der Primärinfektion verbleibt es im Körper und die Infektion kann durch verschiedene provozierende Faktoren erneut aufflammen. Lactoferrin kann hier intervenieren, über die Hemmung der Bindung an die Oberfläche der Wirtszelle, der Replikation und der Ausbreitung von Zelle zu Zelle.
Eines der häufigsten Viren, das Epstein-Barr-Virus (EBV) betrifft häufig auch die oro-fasziale Region. In Folge können im Kopf- und Halsbereich Symptome wie ein entzündeter Hals, geschwollene
Lymphknoten und Hautausschlag auftreten. Wenn das Immunsystem des Wirts bereits geschwächt ist, können auch schwerwiegende Komplikation wie etwa eine virale Meningitis, Encephalitis oder eine Optikusneuritis auftreten. Lactoferrin kann EBV an der Anheftung und dem Eindringen in die Wirtszelle hindern und effektiv die Zellübertragung hemmen.
Das Coxsackievirus A16 (CA16) verursacht die sogenannte Hand-Fuß-Mund-Krankheit (HFMK). In Studien konnte der inhibitorische Effekt von Lactoferrin in der ersten Phase der Infektion demonstriert werden, ebenso verhält es sich beim Human papilloma virus (HPV).
Weitere therapeutische Anwendungen von Lactoferrin im Mundraum
- Trockener Mund
- Knochenregeneration bei Schädigungen in der Umgebung von Implantaten
- Prävention einer Entzündung im Implantatsgebiet
Eine doppelblinde, randomisierte Interventionsstudie von 2019 untersuchte den Einsatz einer Zahnpasta, die Enzyme und Proteine, darunter Lactoferrin, enthält, die deren natürliches Vorkommen im Speichel wiederspiegelt, um den Gesundheitszustand des Zahnfleisches zu verbessern [16]. Speichel spielt mit seinen Inhaltsstoffen, die zum humoralen Teil des angeborenen Immunsystems gehören, eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des bakteriellen Gleichgewichts im Mundraum. Nach 4 Wochen konnte gezeigt werden, dass sowohl die Plaque-Bildung als auch der Gingival-Index signifikant reduziert waren.
Die Mundhöhle und ihre Umgebung können von verschiedensten Infektionen und Pathologien betroffen sein. Die Autoren des oben genannten Reviews empfehlen Lactoferrin im Bereich der Mundgesundheit als ein Therapeutikum mit einer großen Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten und das ohne die Entwicklung von Nebenwirkungen und/oder Resistenzen.
Quellen
1 Sampaio-Maia B, Caldas IM, Pereira ML, Pérez-Mongiovi D, Araujo R. The Oral Microbiome in Health and Its Implication in Oral and Systemic Diseases. Advances in applied microbiology 2016; 97: 171–210.
2 Velliyagounder K, Bahdila D, Pawar S, Fine DH. Role of lactoferrin and lactoferrin-derived peptides in oral and maxillofacial diseases. Oral diseases 2019; 25: 652–669.
3 Hajishengallis G. Periodontitis: from microbial immune subversion to systemic inflammation. Nature reviews. Immunology 2015; 15: 30–44.
4 Mark Welch JL, Rossetti BJ, Rieken CW, Dewhirst FE, Borisy GG. Biogeography of a human oral microbiome at the micron scale. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 2016; 113: E791-800.
5 Ochiai K, Kurita-Ochiai T, Kamino Y, Ikeda T. Effect of co-aggregation on the pathogenicity of oral bacteria. Journal of medical microbiology 1993; 39: 183–190.
6 Marsh PD, Lewis MAO, Rogers H, Williams D, Wilson M. Marsh and Martin’s Oral Microbiology – E-Book. 6th ed. Elsevier Health Sciences, London 2016.
7 Touger-Decker R, van Loveren C. Sugars and dental caries. The American journal of clinical nutrition 2003; 78: 881S-892S.
8 Moore LV, Moore WE, Cato EP, Smibert RM, Burmeister JA, Best AM, Ranney RR. Bacteriology of human gingivitis. Journal of dental research 1987; 66: 989–995.
9 Zhang Q, Illing R, Hui CK, Downey K, Carr D, Stearn M, Alshafi K, Menzies-Gow A, Zhong N, Fan Chung K. Bacteria in sputum of stable severe asthma and increased airway wall thickness. Respiratory research 2012; 13: 35.
10 Tlaskalová-Hogenová H, Stepánková R, Hudcovic T, Tucková L, Cukrowska B, Lodinová-Zádníková R, Kozáková H, Rossmann P, Bártová J, Sokol D, Funda DP, Borovská D, Reháková Z, Sinkora J, Hofman J, Drastich P, Kokesová A. Commensal bacteria (normal microflora), mucosal immunity and chronic inflammatory and autoimmune diseases. Immunology letters 2004; 93.
11 Teichtahl AJ, Urquhart DM, Wang Y, Wluka AE, Wijethilake P, O’Sullivan R, Cicuttini FM. Fat infiltration of paraspinal muscles is associated with low back pain, disability, and structural abnormalities in community-based adults. The spine journal : official journal of the North American Spine Society 2015; 15: 1593–1601.
12 Urquhart DM, Zheng Y, Cheng AC, Rosenfeld JV, Chan P, Liew S, Hussain SM, Cicuttini FM. Could low grade bacterial infection contribute to low back pain? A systematic review. BMC medicine 2015; 13: 13.
13 Olsen I, Singhrao SK. Can oral infection be a risk factor for Alzheimer’s disease? Journal of oral microbiology 2015; 7: 29143.
14 Tian H, Maddox IS, Ferguson LR, Shu Q. Influence of bovine lactoferrin on selected probiotic bacteria and intestinal pathogens. Biometals : an international journal on the role of metal ions in biology, biochemistry, and medicine 2010; 23.
15 Wakabayashi H, Yamauchi K, Kobayashi T, Yaeshima T, Iwatsuki K, Yoshie H. Inhibitory effects of lactoferrin on growth and biofilm formation of Porphyromonas gingivalis and Prevotella intermedia. Antimicrobial agents and chemotherapy 2009; 53: 3308–3316.
16 Daly S, Seong J, Newcombe R, Davies M, Nicholson J, Edwards M, West N. A randomised clinical trial to determine the effect of a toothpaste containing enzymes and proteins on gum health over 3 months. Journal of dentistry 2019; 80 Suppl 1: S26-S32.