In einer aktuellen Veröffentlichung [1] wird die neuroprotektive Rolle von Lactoferrin während der frühen Hirnentwicklung und Schädigung über die gesamte Lebensspanne diskutiert.
Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass frühe neuroprotektive Pfade, die durch Lactoferrin moduliert werden, Neurodegeneration durch entzündungshemmende, antioxidative und immunmodulatorische Prozesse verhindern könnten.
Somit hat Lactoferrin womöglich das Potenzial, die Entwicklung des Gehirns und der Kognition durch die Ernährung zu unterstützen und die Entstehung von neuropsychiatrischen Erkrankungen im späteren Leben zu verhindern [1].
Neuroprotektive Rolle von Lactoferrin
Mütterliche Infektionen, Eisenmangelanämie, Plazentainsuffizienz, die zu Wachstumsstörungen des Fötus und Sepsis führt, sowie nekrotischer Enterokolitis werden häufig bei Frühgeburten beobachtet und tragen zu den entzündlichen Herausforderungen bei, denen Föten ausgesetzt sind und auch Risikofaktoren für eine Frühgeburt sind. Dies resultiert in Schäden des zentralen Nervensystems sowie schlechten neurologischen Entwicklungsergebnissen. Zudem sind Frühgeborene usätzlich anfällig für Hirnschäden aufgrund des Ungleichgewichts zwischen der Produktion und dem Abfangen oxidativer Spezies, da ihr antioxidatives System noch nicht voll entwickelt ist.
Aufgrund seiner entzündungshemmenden, immunmodulatorischen, eisenbindenden und antioxidativen Eigenschaften kann Lactoferrin ein hervorragender Kandidat zur Unterstützung der Neuroprotektion sein [1].
In einer klinischen Studie mit schwangeren Frauen mit Eisenmangelanämie konnte gezeigt werden, dass die Verabreichung von Lactoferrin, dass Parameter der Eisenhomöostase signifikant verbessert und Entzündungsparameter im Blutserum sowie in der zervikovaginalen Flüssigkeit reduziert werden konnten. Dies sowie die Verhinderung der weiteren Verkürzung des Gebärmutterhalses durch die Lactoferrin-Gabe hatte einen verlängernden Effekt auf die Schwangerschaftsdauer und es kam in dieser Probandengruppe zu keiner Frühgeburt trotz vorhandener Risikofaktoren bei den Frauen [2].
Zudem gibt es präklinische Hinweise darauf, dass die Verabreichung von Lactoferrin während der Schwangerschaft auch die Folgen von Entzündungen auf die Gehirnentwicklung des Fötus modulieren kann und somit neuroprotektiv gegen frühe Hirnschädigungen wirken kann [1].
Fördernde Rolle von Lactoferrin auf die Gehirnentwicklung und Kognition
Die ersten zwei Lebensjahre eines Kindes sind entscheidend für die Gehirnentwicklung, da das Gehirn in diesem Zeitraum 80% seines Erwachsenengewichts erreicht.
Neben einer neuroprotektiven Wirkung zeigten Studien auch positive Einflüsse auf die Entwicklung des Gehirns und der Kognition bei Säuglingen und Kindern.
Lactoferrin enthält die zwei Moleküle Eisen und Sialinsäure (Sia), die für die frühe neurologische Entwicklung und die kognitiven Funktionen von Kleinkindern von entscheidender Bedeutung sind.
Eisen ist ein essenzieller Nährstoff, der eine strukturelle und funktionelle Rolle bei der Verbesserung der kognitiven und motorischen Entwicklung spielt.
Sia ist ein wichtiges Monosaccharid für die Synthese von Hirngangliosiden und sialylierten Glykoproteinen, die wiederum wichtig für die Entwicklung des Gehirns und der kognitiven Fähigkeiten sind.
Einer der neuroprotektiven Wirkmechanismen von Lactoferrin ist die Erhöhung des vom Gehirn abgeleiteten neurotrophen Faktors (BDNF), der in Tiermodellstudien nachgewiesen wurde. BDNF hat mehrere wichtige funktionelle Rollen bei der neuronalen Übertragung und Plastizität. Er ist an der Bildung von Gedächtnis und Lernen, dem Überleben von Neuronen und der Förderung von Wachstum und Differenzierung neuer Neuronen und Synapsen beteiligt. Möglicherweise ist der durch Lactoferrin induzierte Anstieg des BDNF-Spiegels und die anschließende Wirkung von BDNF auf die Signaltransduktionskaskade der zugrundeliegende molekulare Mechanismus, der erklärt, wie Lactoferrin Kognition und Gedächtnis verbessert, da BDNF bei einer Vielzahl von neuronalen Funktionen eine wichtige Rolle spielt [3].
Aus Tierstudien an Ferkeln ergibt sich für die klinische Relevanz die Empfehlung, dass geringere Konzentrationen an Lactoferrin eher die neuronale Entwicklung und die Kognition verbessern, während höhere Dosierungen eher neuroprotektiv wirken [4].
Dies ist ein spannender Forschungsansatz für künftige klinische Humanstudien.
Einfluss auf neurodegenerative Erkrankungen im Alter
Obwohl sich die meisten Lactoferrin-Forschungen aufgrund des Vorhandenseins von Lactoferrin in der Muttermilch auf die Neugeborenenperiode konzentrieren, gibt es neue Erkenntnisse über den Nutzen von Lactoferrin bei neurodegenerativen Erkrankungen.
Lactoferrin kann die Blut-Hirn-Achse mittels rezeptorvermittelter Transzytose passieren, weshalb Lactoferrin direkt im Gehirn ankommen kann und dort eine positive Wirkung auf die Reifung und den Schutz des Gehirns haben kann. Dies ist möglich, da einige der mutmaßlichen Rezeptoren von Lactoferrin, wie LDL receptor-related protein 1 (LRP 1) und Intelectin 1 im Hirnendothel zu finden sind [1].
Lactoferrin scheint in postmortalen Alzheimer-Gehirnen und in APP-transgenen Mäusen (Mausmodell für Alzheimer) um die Amyloid-Ablagerungen physiologisch erhöht zu sein, der Zweck ist allerdings noch ungeklärt. Amyloid-Ablagerungen, auch Alzheimer Plaques, sind Eiweißansammlungen an Nervenzellen, die die Sauerstoff- und Energieversorgung dieser Zellen stören und als ein maßgeblicher Faktor für die Entwicklung der Erkrankung zählen [1].
In einer ersten Pilotstudie mit Alzheimer-Patienten zeigte sich, dass die Einnahme von Lactoferrin den p-Akt/PTEN-Signalweg modulieren kann, der bei dieser Erkrankung dereguliert ist.
Lactoferrin zeigte einen signifikanten erhöhenden Einfluss auf antioxidative und entzündungshemmende Marker, die bei einer Alzheimer-Erkrankung deutlich reduziert sind. In ähnlicher Weise wurden erhöhte Serummarker wie Amyloid ß, oxidative Stressmarker, Entzündungsmarker und weitere signifikant durch die Lactoferrin-Intervention reduziert. Die Verbesserung dieser Serummarker spiegelte sich in einer verbesserten kognitiven Funktion der Patienten wider. Daher schlussfolgern die Autoren aus diesen Ergebnissen, dass Lactoferrin einen möglichen Schutzmechanismus bei einer Alzheimer-Erkrankung liefert durch seine Fähigkeit, die pathologische Kaskade der Alzheimer-Krankheit und den kognitiven Verfall über die Modulation des p-Akt/PTEN-Signalwegs zu mildern, der die Hauptakteure der Entzündung und des oxidativen Stresses beeinflusst [5].
Es gibt weitere spannende Ansätze aus Tiermodellstudien, wie die intranasale Anwendung, die ß-Amyloid-Ablagerungen nachweislich reduzieren konnte und den kognitiven Abbau verbessern konnte. Der intranasale Weg ist ein relativ neuer und sehr interessanter Ansatz aufgrund der erhöhten und zielgerichteten Verfügbarkeit im zentralen Nervensystem [6].
In jüngster Zeit wird auch Lactoferrin als möglicher Biomarker für die Frühdiagnose von neurodegenerativen Erkrankungen diskutiert, da entdeckt wurde, das Speichel-Lactoferrin bei Patienten mit Alzheimer reduziert war. Der kausale Zusammenhang zwischen Speichel-Lactoferrin und der Alzheimer-Erkrankung ist noch nicht bekannt [7].
Diese neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Lactoferrin ein vielversprechender Kandidat zur Verhinderung der Entwicklung von neurodegenerativen Krankheiten zu verhindern [1].
Allerdings ist die Forschung hierzu noch sehr jung und der Forschungsstand bislang dünn, weshalb neue Erkenntnisse mit Spannung erwartet werden.
Quellen
1. Schirmbeck, G. H., Sizonenko, S. & Sanches, E. F. Neuroprotective Role of Lactoferrin during Early Brain Development and Injury through Lifespan. Nutrients vol. 14 Preprint at https://doi.org/10.3390/nu14142923 (2022).
2. Paesano, R., Pietropaoli, M., Berlutti, F. & Valenti, P. Bovine lactoferrin in preventing preterm delivery associated with sterile inflammation. Biochemistry and Cell Biology 90, 468–475 (2012).
3. Wang, B. Molecular Determinants of Milk Lactoferrin as a Bioactive Compound in Early Neurodevelopment and Cognition. Journal of Pediatrics 173, S29–S36 (2016).
4. Chen, Y. et al. Functional Correlates and Impact of Dietary Lactoferrin Intervention and its Concentration-dependence on Neurodevelopment and Cognition in Neonatal Piglets. Mol Nutr Food Res 65, (2021).
5. Mohamed, W. A., Salama, R. M. & Schaalan, M. F. A pilot study on the effect of lactoferrin on Alzheimer’s disease pathological sequelae: Impact of the p-Akt/PTEN pathway. Biomedicine and Pharmacotherapy 111, 714–723 (2019).
6. Agrawal, M. et al. Nose-to-brain drug delivery: An update on clinical challenges and progress towards approval of anti-Alzheimer drugs. Journal of Controlled Release vol. 281 139–177 Preprint at https://doi.org/10.1016/j.jconrel.2018.05.011 (2018).
7. Reseco, L., Atienza, M., Fernandez-Alvarez, M., Carro, E. & Cantero, J. L. Salivary lactoferrin is associated with cortical amyloid-beta load, cortical integrity, and memory in aging. Alzheimers Res Ther 13, (2021).