Unsere DNS ist wie die Festplatte eines Computers, auf der all unsere Baupläne, die unsere Eltern uns vererbt haben, gespeichert sind. Die Gene sind einzelne Abschnitte dieser DNS, auf der bestimmte Merkmale, wie z. B. die Augenfarbe, fix vorgegeben sind. Diese sind für uns heute und in absehbarer Zukunft nicht veränderbar. Jedoch können wir Einfluss darauf nehmen, welche Teile der DNS aktiv oder inaktiv sind – damit beschäftigt sich die Epigenetik. Doch wie ist das möglich?
Die „Geburtsstunde“ der Epigenetischen Vererbung
Im letzten Kriegswinter 1944 brach in Holland unter der deutschen Besatzung die Nahrungsmittelversorgung zusammen. Da Sterbefälle, Geburten und sogar Geburtsgewicht und spätere Erkrankungen genau dokumentiert wurden, führte dies zu einer einzigartigen Entdeckung: Dass Frauen während Hungerszeiten untergewichtige Kinder zur Welt bringen, war auch aus anderen Krisengebieten bekannt. Diese Kinder zeigten jedoch später im Leben vermehrt Übergewicht und gaben diese Eigenschaften abgeschwächt auch an ihre Nachkommen weiter, obwohl es längst wieder genug zu essen gab. Wie konnte diese Information weitergegeben werden, obwohl keine Veränderung an der DNS (Erbgut) festgestellt werden konnte? Es war die Geburtsstunde der Epigenetik, die das Wechselspiel von Umwelt und Genom beschreibt.
Was ist Epigenetik?
Die Epigenetik (Kombination aus dem altgr. “epi”= dazu, auf und dem Begriff “Genetik”) ist ein Bereich aus der Biologie. Sie beschäftigt sich damit, wie sich Lebewesen entwickeln und wie diese Entwicklung durch das Zusammenspiel der Zellen im Körper und den Austausch mit Umweltreizen geprägt ist. In der Epigenetik wird untersucht, wie unterschiedliche Zellen aus gleichen Erbinformationen entstehen können. Denn die Aktivität unserer Gene kann durch verschiedene Umweltreize erhöht oder erniedrigt bzw. sogar an- oder abgeschaltet werden.
Am besten stellt man sich sein eigenes Erbgut wie eine große Bibliothek vor. Ein Buch handelt zum Beispiel von der eigenen Einstellung zum Leben, in einem anderen stehen Merkmale hinsichtlich des Aussehens. Jeder bekommt jeweils ein Buch von seinen beiden Eltern vererbt, in dem alles über deren Leben steht. Im Buch der Großmutter steht im Kapitel über ihre frühe Kindheit während eines Krieges vielleicht geschrieben: „Die Welt ist grausam und im Leben gibt es viel Hass, Elend und Tod.“ Die Mutter hatte womöglich ebenfalls keine schöne Kindheit und schreibt hinzu: „Das Leben ist Unterdrückung, Angst und Schläge.“ Wer nun selbst in seiner Kindheit wenig positive Erfahrungen gesammelt hat, festigt dann endgültig die Überschrift: „Das Leben ist grausam!“
Im Körper hat das wiederum zur Folge, dass jedes Mal, wenn diese Überschrift gelesen wird, mehr Stresshormone produziert werden. Wir entwickeln folglich ein ängstliches Verhalten sowie auch eine Anfälligkeit für gewisse Krankheitsbilder. Stelle Dir also vor, Du könntest den Titel „Das Leben ist grausam“ löschen und stattdessen „Das Leben ist schön“ darüberschreiben. Eine derartige Überschreibung nennt man in der Wissenschaft der Epigenetik eine Reprogrammierung.
Wie funktioniert epigenetische Programmierung?
Die DNA ist der fixe Bestandteil jeder persönlichen Bibliothek. Die darinstehenden Bücher mit ihrem epigenetischen Programm enthalten die Inhalte, die durch die sogenannte Methylierung (siehe Abb.1) verändert werden können. Die DNA-Methylierung steuert die Aktivität unserer Gene und ist ein natürlicher regulatorischer Prozess, der in den Zellen passiert. Alles was hier geschrieben steht, formt unseren Charakter und den Verhaltenstyp – ob wir ein ängstlicher, freundlicher, feindseliger oder nervöser Mensch sind.
Spezielle Gene regeln die exakte Herstellung und zeitliche Ausschüttung der Hormone, die Aufrechterhaltung des notwendigen Hormonspiegels im Blutkreislauf sowie die Empfindlichkeit von Rezeptoren an den Zellwänden, an denen Hormone andocken. Diese spezifischen Gene werden vor allem bis zum Kleinkindesalter programmiert. Sie beeinflussen alle unsere zentralen Regulationsmechanismen: Immunsystem, Stoffwechsel, Wachstum, Verhalten, Nahrungsaufnahme, Wasserhaushalt und sogar Schlaf. Diese „Aufpasserfunktionen“ sind sichtbar im Verhalten von Menschen und als Verhaltensmerkmale programmiert.
Der evolutionäre Kontext: Was können wir aus der Epigenetik lernen?
Unsere zwei Beispiele veranschaulichen das komplexe Thema verständlich: Ein niedriges Geburtsgewicht (unter 2800 Gramm) führt zum sogenannten „Aufholphänotypen“. Das bedeutet, diese Kinder haben im späteren Leben ein höheres Risiko für Übergewicht und Diabetes Mellitus Typ 2 [1]. Vernachlässigung, Mangel an Aufmerksamkeit, Liebe und Zärtlichkeit durch die Eltern, können beim Kind durch die Programmierung von unterschiedlichen Genen z. B. zu einem messbaren Anstieg von Hormonen wie Cortisol, Schilddrüsenhormonen und Testosteron [2] führen. Menschen und auch Tiere wurden im Laufe der Evolution über Millionen Jahre von Erfahrungen programmiert, die dann eine gewisse Erwartungshaltung zur Folge hatten.
Beispielsweise erwarten Neugeborene die Anwesenheit der Mutter und Muttermilch als Nahrung. Oder auch von den Eltern tagsüber getragen und gehalten zu werden. Wenn Kinder nicht bekommen, was diesen menschlichen Erwartungen entspricht, muss eine neue Strategie, gefunden werden. Diese beruht auf den selbst erlebten Erfahrungen – am Beispiel des Kindes dann Angst, Hilflosigkeit und Panik, ohne Hilfe zu bekommen. Diese Erfahrungen sensibilisieren den Organismus und jede noch so kleine Gefahr wird mit einer verstärkten Gegenreaktion beantwortet. Starke Ängstlichkeit, aggressives Verhalten, aber auch eine erhöhte Immunaktivität sind die Folge. Diese Personen werden sehr stressanfällig und haben ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Depressionen [3] [4].
Epigenetische Vererbung oder Epigenetischer Effekt?
Nach wie vor wird in der Wissenschaft diskutiert, ob man von epigenetischer Vererbung (Übertragung eines Merkmals von der Mutter auf das Kind) oder epigenetischen Effekten (Prägung des Fetus im Mutterleib durch Umweltreize) spricht. Insbesondere beim Menschen ist der Nachweis nicht so einfach. Man kann ihn – im Vergleich zu Tieren und Pflanzen – nicht einfach kontrolliert kreuzen, manipulieren und untersuchen, ob eine Vererbung wirklich stattgefunden hat.
Betrachtet man beispielsweise das ungeborene Kind im Bauch der Mutter, kann man davon ausgehen, dass es dort nicht vollkommen isoliert ist. Denn alle Umweltreize, die auf die Mutter einwirken, wirken ebenfalls auf das Kind – und damit direkt auf die zweite Generation. Das wäre dann keine epigenetische Vererbung, sondern ein epigenetischer Effekt. Damit eine epigenetische Vererbung vorliegt, müsste das vererbte Merkmal nicht nur beim Kind, sondern auch bei den Enkelkindern, also in der dritten Generation, sichtbar sein.
Epigenetische Nahrungsmittel – Womit wir unsere „Programmierung“ unterstützen können
Vernachlässigung im Kindesalter, aber auch ein Mangel an “epigenetischen Lebensmitteln” ist ein signifikanter Risikofaktor für die Entstehung von unterschiedlichen Erkrankungen. Hierzu gehören Übergewicht, Diabetes Mellitus, Lebererkrankungen, Schlafproblemen, schlechte Wutkontrolle und sogar Suizidverhalten [5] [6]. Ein Mangel an Erwartetem kann durch andere Substanzen, die sich auf den gleichen Prozess auswirken, ausgeglichen werden. Epigenetische Programme verschwinden nicht, sondern werden nur abgeschaltet und können folglich wieder angeschaltet werden. Gute wissenschaftliche Untersuchungen gibt es über „epigenetische Cocktails“ aus Omega-3-Fettsäuren und B-Vitaminen.
Am vielversprechendsten sind aber Interventionen mit artgerechten Nahrungsmitteln. Über den Tag verteilt sollten möglichst viele dieser Nahrungsmittel mindestens fünf Mal wöchentlich konsumiert werden, um einen therapeutischen Effekt zu erzielen [7].
Für die Produktion von Methylgruppen benötigt der Körper
- Cholin (Eier, Eisbergsalat),
- Betain (Rote Beete, Muscheln) und
- Methionin (Fisch, Nüsse) [8]
Methylgruppen steuern in unserem Körper sämtliche Prozesse, die für die Gesunderhaltung sowie für die Heilungsmechanismen benötigt werden. Produzieren wir zu wenige Methylgruppen, gerät der Körper aus dem gesunden Gleichgewicht.
Weitere wichtige Substanzen sind
Nahrung als Medizin
Die folgenden artgerechten Nahrungsmittel können dabei helfen, bestimmte epigenetische Programme in unserem Körper entweder abzuschalten oder zu aktivieren. Damit können sie auch der Entstehung moderner Erkrankungen, wie z. B. Diabetes Mellitus, Lebererkrankungen oder Übergewicht vorbeugen. Zudem können uns all diese Nahrungsmittel unterstützen, den wichtigsten aller Schritte zu tun, um die Epigenetik zu beeinflussen: die Verhaltensänderung.
- Algen
- Beeren, besonders Heidel- und Erdbeeren
- Brokkoli
- Cashewnüsse
- Eier
- Eisbergsalat
- Fisch
- Geflügel
- Grünes Blattgemüse
- Grüntee
- Knoblauch
- Meeresfrüchte und Schalentiere
- Pilze
- Rote Beete
- Rote Trauben
- Sauerkraut
- Schwarztee
- Sellerie
- Shrimpsköpfe
- Spargel
- Tamarinde
- Wasabi
- Zwiebel
Hilfreiche Nahrungsmittel
- Apfel
- Artischocken
- Geflügelleber
- Petersilie
- Rote Paprika
- Rotwein
- Sesam
- Zitrusfrüchte
Lebensmittel, die gemieden werden sollten, da sie die Entstehung von Zivilisationskrankheiten begünstigen:
- Fructose
- Hochkalorische Nahrung
- Hülsenfrüchte, besonders Soja
- Industriell erzeugte Fertigprodukte
- Industriell erzeugte Fruchtsäfte
- Mais
- Mastfleisch
- Pestizide
- Süßgetränke und Energydrinks
Dein Leben – Dein Programm
Wie Du siehst, ist die Epigenetik ein recht komplexer Bereich der Biologie, deren Erforschung uns auch die nächsten Jahre weiter intensiv beschäftigen wird. Ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie sich verschiedene Umweltreize auf unseren Organismus und auch unser Verhalten über Generationen auswirken, ist extrem spannend. Und natürlich auch, zu begreifen, wie wir im Gegenzug in der Lage sind, die Auswirkungen dieser Reize durch bestimmte Verhaltensänderungen oder auch Nahrungsmittel zu beeinflussen, um unser „Programm“ selbst zu schreiben.