Leaky Gut bedeutet übersetzt soviel wie undichter Darm. Der Darm ist ein hoch komplexes System, das in verschiedenen Wechselbeziehungen zu unserem Organismus steht und durch viele Faktoren gestört werden kann – insbesondere durch bestimmte Nahrungsbestandteile oder schädliche Substanzen aus der Umwelt. Ist dies der Fall, kann die Darmwand durchlässig werden und schädliche Stoffe ungehindert in den Blutkreislauf gelangen. Erfahre in diesem Artikel mehr über die Zusammenhänge und Auswirkungen.
Leaky Gut Syndrom – was ist das?
»Leaky Barriers« ist der Sammelbegriff aller teildurchlässigen (semipermeablen) Schutzschichten unseres Körpers zur Außenwelt. Dazu zählen Haut, Lunge, Mund und der gesamte Verdauungstrakt. Dass wir von unserer Haut geschützt werden, ist wohl jedem bewusst. Aber auch der gesamte Weg der Nahrung und der Luft ist mit Schutzbarrieren ausgestattet, die teildurchlässig sein müssen. Der Weg, in Mund und Nase beginnend bis zum Ausgang, ist anatomisch gesehen ebenfalls Teil der gefährlichen Außenwelt. Nahrung ist erst dann im Körperinneren, wenn diese verdaut und kontrolliert über die Darmwand aufgenommen wird. Diese Schutzbarrieren bilden die erste Verteidigungslinie des Immunsystems. [1]
Wie entsteht ein durchlässiger Darm?
Die Darmwand erfüllt zwei zentrale Aufgaben: Zum einen muss sie durchlässig sein für die aufgenommenen Nährstoffe, zum anderen muss sie verhindern, dass Bakterien, Viren, Pilze oder Schadstoffe durch die Darmwand in den Blutkreislauf gelangen. Um das zu gewährleisten, muss die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut gut reguliert sein. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer „selektiven Darmbarriere“ – es muss also exakt geregelt sein, was die Darmwand passieren darf und was nicht.
Die Haut hat mit ca. 2 m2 den kleinsten Anteil. Weil sie nach außen sichtbar ist, ist es für uns emotional entscheidend ist, dass ihre Qualität optimal sein sollte. Die Lunge ist mit mehr als 100 m2 schon wesentlich größer. Mit deutlich über 500 m2 Oberfläche stellt der Verdauungstrakt zusammen mit der Mundhöhle jedoch die größte Schutzbarriere dar – mit zentraler Bedeutung für die Gesundheit. Unser Darm ist acht Meter lang, beheimatet 80 Prozent aller Immunsystemzellen und über 90 Prozent des körpereigenen »Glückshormons« Serotonin.[2] Eine komplexe, mehrschichtige Schutzbarriere beginnend beim Mund bis zum Körperausgang schützt uns vor Krankheitserregern und kontrolliert die Aufnahme von Nahrung.
Die Entzündungsreaktion bei einem undichten Darm
Hat sich eine Dysbiose (Fehlbesiedlung in der Darmflora) erst einmal etabliert, gelangen die Darmbakterien über durchlässige Stellen in der Darmwand (Leaky Gut) leicht in den Körper, unser Immunsystem wird aktiviert und löst dort weitere Entzündungen aus. Wenn das ständig passiert, etabliert sich mit der Zeit eine sogenannte chronische, niedriggradige Entzündung im Körper [3] (chronic low grade inflammation). Langfristig kann das zu verschiedensten gesundheitlichen Problemen im System führen.[5]
“Der Tod sitzt im Darm” (chinesisches Sprichwort)
Die große Mehrheit der Bewohner der westlichen Industrieländer dürfte an zu durchlässigen Barrieren, vor allem im Mund und Darmbereich, leiden. Die Folge von durchlässigen Teilen in unseren Schutzwänden ist, dass vermehrt Viren, Bakterien und Stuhl unkontrolliert in den Körperkreislauf gelangen können.[5] [6] Fettreiche Mahlzeiten können ebenfalls vermehrt Bakterien in den Körper transportieren, da sie die Fettmoleküle als Transportmittel durch die Darmwand nutzen können. Diese »zweite Angriffswelle« geschieht bei fast jeder Mahlzeit. Diesen Angriff von Bakterien nennt man Endotoxämie. Dauerhafte Endotoxämie durch negativ unterstützende Lebensmittel oder häufiges Essen, führt langfristig zu einer chronischen niedriggradigen Entzündung.[7]
Auch bei intensiven sportlichen Leistungen oder anderen Stressfaktoren wird über die Ausschüttung der Stresshormone eine Endotoxämie ausgelöst, weil dadurch gleichzeitig eine schnellere Energieaufnahme möglich ist.
Mit welchen Erkrankungen stehen löchrige Barrieren im Zusammenhang?
In den letzten Jahrzehnten wurden löchrige Barrieren bzw. ein durchlässiger Darm bei einer Vielzahl an chronischen Krankheiten entdeckt, die auf einen engen Zusammenhang zwischen uns bekannten Erkrankungen mit dem Darm schließen lassen. Dazu zählen etwa: Allergien [8], Asthma [8], Zöliakie [9], Chronisches Ermüdungssyndrom [10], Morbus Crohn [11], Depression [12], Diabetes Mellitus Typ 1 [13], Hashimoto, Migräne [14], Multiple Sklerose [15], Psoriasis [16], Rheumatoide Arthritis [17], Herz-Kreislauf-Erkrankungen [18] und Alzheimer [19].
Assoziierte Symptome
- Antriebslosigkeit
- Atembeschwerden
- Blähungen
- Chronische Ermüdungszustände
- Durchfall
- Hautunreinheiten
- Schlafprobleme
- Sodbrennen
- starke bzw. häufige Stimmungsschwankungen
- Verstopfung
- Völlegefühl nach dem Essen
- Müdigkeit nach dem Essen
- Zahnfleischbluten
Assoziierte Erkrankungen
- Akne
- Allergien
- Alzheimer
- Asthma
- Autismus
- Chronisches Ermüdungssyndrom
- Colitis Ulcerosa
- Depression
- Diabetes mellitus Typ 1
- Gingivitis
- Hautekzeme
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Migräne
- Morbus Bechterew
- Morbus Crohn
- Multiple Sklerose
- Nahrungsmittelunverträglichkeit
- Psoriasis
- Parodontitis
- Rheumatoide Arthritis
- Schizophrenie
- Urtikaria
- Zöliakie (SPRUE)
Wie entsteht ein durchlässiger Darm?
Global betrachtet können Stress, Nahrungsbestandteile, Ernährungsweisen, Nährstoffmängel, Entzündungsreaktionen, Pathogene, bestimmte Schmerzmedikamente und Sauerstoffmangel im Darm (Hypoxie) die Barriere „löchrig“ machen. Eine Übersicht über diese permeabilitätserhöhenden Faktoren sind in Tabelle 1 zu finden.
Tabelle 1: Auslösefaktoren für löchrige Barrieren
Auslösefaktor | Quelle |
Stress-Psychosozialer Stress-Sport induzierter Hitzestress | Nishizawa, 2016; Punder & Pruimboom, 2015 |
Nahrungsbestandteile-Industriezucker-Fruktose-Salz-Emulgatoren-Tensideorganische-Lösungsmittel-Gluten (Gliadin)-Mikrobielle Transglutaminase-Nanopartikel-Ethanol-Hülsenfrüchte-Kartoffeln | Bischoff et al., 2014; Fasano, A., Sapone, A., Zevallos, V., & Schuppan, 2015; Johnson, Gee, Price, Curl, & Fenwick, 1986; Lerner & Matthias, 2015; Nishizawa, 2016; Ridout, Wharf, Price, Johnson, & Fenwick, 2017 |
Ernährung & Nährstoffmängel-Hoch kalorische Ernährung-Fettreiche Ernährung-Mangel an:Vitamin A-unverdaulichen Kohlenhydraten | Bischoff et al., 2014; Punder & Pruimboom, 2015 |
Entzündungsreaktionen-bakterielle und virale Infektion-Tumor Nekrosefaktor α (TNF-α)-Bestimmte Pathogene | Bischoff et al., 2014; Öhman et al., 2015; Quigley, 2016 |
Nicht-steroidale Entzündungshemmer (z. B. Acetylsalicylsäure) | Galland, 1995 |
Hypoxie im Darm (als Folge einer Operation) | Galland, 1995 |
Die erhöhte Durchlässigkeit der Darmwände (Darmpermeabilität oder intestinal permeability) entsteht durch direkte oder indirekte Wirkung auf u. a. die Tight Junctions. Eine direkte Wirkung haben z. B. pro-entzündliche Botenstoffe wie TNF-α oder Stress auf die Tight Junctions.[20] Ferner können Entzündungsprozesse und Geschwüre im Darm dazu führen, dass auch ganze Epithelzellen aus der Darmbarriere zerstört werden.[21] Auf der anderen Seite kann das Mikrobiom aus unverdaulichen Kohlenhydraten u. a. Buttersäure herstellen. Diese Fettsäure ist wichtig für die Integrität der Darmbarriere. Mangelt es an eben diesen Kohlenhydraten, so kann die Darmpermeabilität beeinträchtigt werden.[21]
Wie stellt man ein Leaky Gut Syndrom fest?
Neben der Auswertung der klinischen Symptome und Krankheitsbilder ist der 13C-Sucrose-Atmungs-Test der zuverlässigste Test für die Diagnose eines Leaky Guts.
Man kann ihn beim Gastroenterologen durchführen lassen.[22] Wenn Du zusammen mit Deinem Arzt oder Therapeuten eine zusätzliche Labordiagnostik in Erwägung ziehst, können folgende Parameter zusätzlich auf einen durchlässigen Darm, das Leaky-Gut-Syndrom, hindeuten:
Laborparameter
Wert | Art der Abnahme |
Alpha-1-Antitrypsin-Calprotectin-Lysozym-EPX-Histamin-sIGA-Zonulin | Stuhlprobe |
Zonulin-LPS | Blutserum |
Laktulose-Mannitol-Test | Urin |
13C-Sucrose-Test | Atmung |
Was kann man bei einem Leaky Gut Syndrom tun?
Das effiziente Schließen unserer Barrieren und die Normalisierung der gesamten Bakterienflora ist das Fundament für die Genesung von beinahe allen Erkrankungen bzw. die Erhaltung der Gesundheit. Neben einer optimalen Ernährung und der Reduktion aller genannten negativen Einflüsse können auch Substanzen wie beispielsweise Probiotika, Enzyme, der Eiweißbaustein Glutamin (Hauptsubstanz zur Reparatur unserer Schutzbarrieren) und Zink (wichtiger CoFaktor) eingesetzt werden [23] [24].
Die wichtigsten Tipps für den Verdauungstrakt, vom Mund bis zum Ausgang:
- Süßwaren, Zucker und süße Getränke (Limonaden, Fruchtsäfte) nach Möglichkeit aus der täglichen Nahrung streichen. Empfehlenswert ist, die ganze Frucht zu pürieren, weil dann die Faserstoffe erhalten bleiben.
- Getreide (Vollkorn), Reis, Kartoffeln und Hülsenfrüchte meiden bzw. reduzieren wegen ihrer Antinutrienten, Faserstoffe und Kohlenhydrate.
- L-Glutamin zusätzlich zu den Mahlzeiten für den Aufbau der Barrieren verwenden.
- Omega-3-Fettsäuren z.B aus. Fisch aufgrund ihrer antientzündlichen Eigenschaften.
- Artgerechte Ernährungsweise und Verwendung der Lebensmittelliste “Nahrung als Medizin” für eine gute Verdauung.
Nahrung als Medizin
… bedeutet, dass bestimmte Nahrungsmittel verschiedene Stoffe beinhalten, die sich positiv auf unsere (Darm-) Gesundheit auswirken können. Jedoch gilt auch hier, wie bei jeder Medizin, dass über die tatsächliche Wirkung Dosis und Qualität entscheidend sind. Deshalb sollten diese Nahrungsmittel Bestandteil der wöchentlichen, teilweise auch der täglichen Küche sein. Wichtig ist auch, dass diese Nahrungsmittel Bio-Qualität aufweisen, da biologisch angebaute Nahrungsmittel oftmals höhere Konzentrationen an sekundären Pflanzenstoffen beinhalten als konventionell angebaute Nahrungsmittel. Hilfreiche Nahrungsmittel wirken unterstützend und sollten ebenfalls regelmäßig konsumiert werden.
Nahrung als Medizin
- Algen
- Ananas
- Apfel
- Avocado
- Curcuma
- Eier
- Fenchel
- fermentiertes Gemüse
- Geflügel
- grünes Blattgemüse, besonders Spinat
- Ingwer
- Knoblauch
- Kohlgemüse
- Meeresfisch
- Meeresfrüchte und Schalentiere
- Nelken
- Nüsse, besonders Mandeln, Cashewnüsse (max. 100g pro Mahlzeit)
- Oregano
- Papaya
- Petersilie
- Pilze
- Spargel
- Thymian
- Wurzelgemüse, besonders Karotten
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