Wir alle kennen Stress und haben eine Vorstellung davon, was Stress bedeutet. Tatsächlich leiden 80% der deutschen Bevölkerung unter Stress – mit meist negativen Auswirkungen. Dabei hat das Stresssystem unseres Körpers eine wichtige und sogar auch gute Funktion. Das Sprichwort: „Stress hat man nicht, Stress macht man sich“, ist aus einer evolutionären Perspektive wahrer als jemals zuvor. Doch woran liegt das und was bedeutet Stress für uns?


Was für einen Stress erleben wir?

„Ich habe Stress.” Das, was wir im Allgemeinen als „Stress“ bezeichnen, umfasst sowohl psychologischen als auch sozialen Stress. Psychologischer oder sozialer Stress ist ein weit gefasster Begriff. Es kann zum Beispiel die Sorge um das Einkommen sein, den Arbeitsplatz oder beziehungsbezogener Stress – und noch so viel mehr sein (Engelmann, Landgraf, & Wotjak, 2004)(Du, Lin, Lu, & Tai, 2011). Es ist daher nicht verwunderlich, dass Stress in unzähligen Formen vorkommt. Er kann im eigenen Erleben stattfinden oder von außen auf uns einwirken. Es kann positiver oder negativer Stress sein. Stress kann auch körperlich oder emotional sein, er kann auf unsere eigenen Entscheidungen zurückzuführen sein oder sich völlig unserer Kontrolle entziehen. Egal, wie er verpackt ist, Stress hat einen großen Einfluss auf uns.

Mit welchem Stress können wir am besten umgehen?

Die Lösung auf diese Frage liegt wie immer in der Evolution: Wir sind an bestimmte Auslöser für Stress (Stressoren), die uns schon immer begleitet haben, besonders gut angepasst. So können wir z.B. trotz Hitze und Kälte unsere Körperkerntemperatur anpassen, mehrere Wochen ohne Nahrung auskommen und in gefährlichen Situationen, mit ausreichend Energie, kämpfen oder flüchten. Viele dieser alten Stressoren stellen einen körperlichen Stress dar, mit dem unser Körper, über die Evolution, immer wieder gelernt hat umzugehen.

Kälte- oder Hitzereize gegen die negativen Folgen von Stress in der moderenen Welt.

Was ist Stress und wie entsteht er?

Der Auslöser für Stress nennt sich Stressor. Ein Stressor kann alles sein, was wir aus der Erfahrung heraus als „Bedrohung” für unser inneres Gleichgewicht (Homöostase) empfinden. Diese Bedrohungen werden über unsere Sinne wahrgenommen und aktiveren in der Folge unser Stresssystem. Viele dieser Stressoren, die wir heute empfinden unterscheiden sich von denen, die wir evolutionär, seit hunderttausenden Jahren wahrnehmen mussten.

Neue StressorenAlte Stressoren
Hohe Mahlzeitenfrequenz (> 21x pro Woche), Kohlenhydratreiche Mahlzeiten, zu viel Linolsäure (Omega-6), Junk FoodNatürliche Gefahren (Kampf / Flucht)  
Handy, Fernseher, Zeitungen, InternetHunger
Autofahren, BewegungsmangelDurst
DauerlärmKälte
Hypothek, Aktien, Finanzen, BerufHitze
Abb. 1: Neue versus alte Stressoren.

Stress: Alles nur Kopfsache?

Ein Aspekt, der besonders wichtig bei psychologischem und sozialem Stress ist, ist die Bewertung. Die Stressforschung hat gezeigt, dass es nicht nur große Unterschiede zwischen Menschen, sondern auch im eigenen Erleben von Stress gibt. So ist z.B. das Lesen einer Zeitung nicht für jeden ein Stressor: Dennoch kann eine Zeitschrift, welche über Katastrophen in der Welt berichtet, anders bewertet werden als eine Zeitschrift, die über eine regionale Einbruchsserie berichtet. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass unser Stresssystem ein stark adaptives System ist, welches uns helfen soll auf die Anforderungen unserer Umwelt flexibel zu reagieren (Zänkert, Bellingrath, Wüst, & Kudielka, 2019).

Welche Vorteile bringt uns Stress?

Stress aktiviert unseren Körper.

Das Stresssystem ist in erster Linie dafür zuständig Energie in unserem Körper zu mobilisieren. Diese Extra-Portion Energie soll dafür sorgen, dass wir unser inneres Gleichgewicht, trotz erhöhter körperlicher Anforderung aufrecht erhalten können und unser Gehirn genügend Energie bekommt um nach einer Lösung für unser Problem zu suchen (Peters & McEwen, 2015). Stress ist zudem auch für unser tägliches Leben eine absolute Notwendigkeit, da das Stresssystem ein wichtiger Zeitgeber für unseren Biorhythmus ist. So hilft uns Stress Tag für Tag beim Überleben und häufig merken wir es nicht einmal: Absolvierte Prüfungen, rote Ampeln im Verkehr, sportliche Höchstleistung, ausreichend Energie in der Arbeit und vieles mehr, wäre ohne das Stresssystem nicht möglich.

Stress ist also gut. Doch ab wann ist Stress schädlich?

Ein Problem entsteht dann, wenn die Stressreaktion chronisch zu wenig oder zu viel hervorgerufen wird, aber auch wenn sie nicht in einem guten Rhythmus erfolgt (Dunlavey, 2018). Mit anderen Worten sind wir dauerhaft über- bzw. unterfordert oder leben nicht in unserem Biorhythmus, dann kann sich Stress negativ auswirken. Die Folgen von chronischem Stress sind fatal und weitreichend, da chronischer Stress bei vielen Erkrankungen zu einer Verschlechterung führt und zudem als Risikofaktor für diese gesehen werden kann (Schmidt, Sterlemann, & Müller, 2008).

Stress und Übergewicht

Stress kann das Verhalten beeinflussen, indem er zu übermäßigem Essen und dem Verzehr von kalorien-, fett- oder zuckerreichen Lebensmitteln führt, die körperliche Aktivität verringert und den Schlaf verkürzt. Außerdem löst Stress Veränderungen der Belohnungsverarbeitung im Gehirn und möglicherweise im Darmmikrobiom aus (Tomiyama, 2019). Chronischer Stress sorgt zudem dafür, dass unser Gehirn in eine Daueraktivität kommt, was langfristig dazu führt, dass neben unserem Gehirn nur noch das Fettgewebe viel Energie aufnehmen und dadurch speichern kann (Peters & McEwen, 2015).

Woran erkennt man chronischen Stress?

In der Tat, wenn man einem ständigen psychologischen und sozialen Stress ausgesetzt ist, fällt es schwer diesen als Stressor zu identifizieren. Unter Stress entwickelt man eine Art „Tunnelblick“, welcher wichtig ist, um die Aufmerksamkeit auf die aktuell größte Herausforderung zu lenken. Eine Methode um Stress zu identifizieren und das Verhalten daraufhin zu verändern, ist ein reflektierendes Tagebuch (Travers, 2011) (Ragnemalm & Bång, o. J.).

Was hilft bei psychologischem und sozialen Stress?

Eines vorweg: Viele Wege führen nach Rom und jede*r muss ihren bzw. seinen individuellen Weg finden.

Mit Blick auf die aktuelle Stressforschung kann es z.B. ein guter Effekt sein, „Feuer mit Feuer“ zu bekämpfen. So zeigt sich, dass Sport, welcher ebenfalls ein Stressor (körperlich) ist, psychologischen Stress reduzieren und unsere Gesundheit verbessern kann (Fiuza-Luces, Garatachea, Berger, & Lucia, 2013). Jedoch hat man häufig nicht genügend Energie, um sich nach einem langen Arbeitstag noch für eine Runde Sport zu motivieren.

Wer also nach einer anderen Möglichkeit sucht, kann z.B. auf Waldbaden zurückgreifen. Das dabei erlernte Achtsamkeitstraining kann Stress deutlich reduzieren (Park, Tsunetsugu, Kasetani, Kagawa, & Miyazaki, 2010). Selbst der Aufenthalt in einem Wald führt schon zur Reduktion von Stress (Oh u. a., 2017). Wem es aber draußen zu ungemütlich ist oder wer nicht in einer naturnahen Umgebung wohnt, kann auch Indoor mit Yoga und Meditation hervorragend Stress reduzieren (Simkin & Black, 2014) (Thirthalli u. a., 2013) (Gupta, 2018).

Wer für all das keine Zeit hat, kann durch intermittierendes Fasten oder Trinken ebenfalls seinen Stresshormonspiegel senken, wie das genau funktioniert erfährst du hier.  Nicht zu vergessen sorgt ein guter Biorhythmus für ausreichend Regeneration und hilft dadurch, dass Stress abgebaut werden kann(Elkhenany, AlOkda, El-Badawy, & El-Badri, 2018). Wie du deinen Biorhythmus normalisieren kannst erfährst du hier.

Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder Yoga können helfen Stress zu reduzieren.

Das Bern-Prinzip

Das „BERN“-Modell bzw. Mind-Body-medizinische Stressreduktion (MBMSR). Verhalten, Bewegung, Entspannung und Ernährung.

Literatur:

Du, C. L., Lin, M. C., Lu, L., & Tai, J. J. (2011). Correlation of occupational stress index with 24-hour urine cortisol and serum DHEA sulfate among city bus drivers: A cross-sectional study. Safety and Health at Work, 2(2), 169–175. https://doi.org/10.5491/SHAW.2011.2.2.169

Dunlavey, C. J. (2018). Introduction to the Hypothalamic-Pituitary-Adrenal Axis: Healthy and Dysregulated Stress Responses, Developmental Stress and Neurodegeneration. Journal of undergraduate neuroscience education : JUNE : a publication of FUN, Faculty for Undergraduate Neuroscience, 16(2), R59–R60. Abgerufen von http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30057514

Elkhenany, H., AlOkda, A., El-Badawy, A., & El-Badri, N. (2018, Dezember 1). Tissue regeneration: Impact of sleep on stem cell regenerative capacity. Life Sciences. Elsevier Inc. https://doi.org/10.1016/j.lfs.2018.10.057

Engelmann, M., Landgraf, R., & Wotjak, C. T. (2004). The hypothalamic-neurohypophysial system regulates the hypothalamic- pituitary-adrenal axis under stress: An old concept revisited. Frontiers in Neuroendocrinology, 25(3–4), 132–149. https://doi.org/10.1016/j.yfrne.2004.09.001

Fiuza-Luces, C., Garatachea, N., Berger, N. A., & Lucia, A. (2013). Exercise is the real polypill. Physiology, 28(5), 330–358. https://doi.org/10.1152/physiol.00019.2013

Gupta, A. H. H. (2018). Therapeutischer Yoga bei Stress und Erschöpfung Erschöpfung und Burnout Symptomatologie und Verlauf Ayurvedische Sicht auf Stress und Erschöpfung.

Oh, B., Lee, K. J., Zaslawski, C., Yeung, A., Rosenthal, D., Larkey, L., & Back, M. (2017). Health and well-being benefits of spending time in forests: Systematic review. Environmental Health and Preventive Medicine, 22(1), 1–11. https://doi.org/10.1186/s12199-017-0677-9

Park, B. J., Tsunetsugu, Y., Kasetani, T., Kagawa, T., & Miyazaki, Y. (2010, Januar). The physiological effects of Shinrin-yoku (taking in the forest atmosphere or forest bathing): Evidence from field experiments in 24 forests across Japan. Environmental Health and Preventive Medicine. https://doi.org/10.1007/s12199-009-0086-9

Peters, A., & McEwen, B. S. (2015). Stress habituation, body shape and cardiovascular mortality. Neuroscience and Biobehavioral Reviews, 56, 139–150. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2015.07.001

Ragnemalm, E. L., & Bång, M. (o. J.). 8 Adjunct Proceedings. Abgerufen von http://www.ep.liu.se/ecp_home/index.en.aspx?issue=068

Schmidt, M. V., Sterlemann, V., & Müller, M. B. (2008). Chronic Stress and Individual Vulnerability. Annals of the New York Academy of Sciences, 1148(1), 174–183. https://doi.org/10.1196/annals.1410.017

Simkin, D. R., & Black, N. B. (2014). Meditation and mindfulness in clinical practice. Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America. W.B. Saunders. https://doi.org/10.1016/j.chc.2014.03.002

Thirthalli, J., Naveen, G. H., Rao, M. G., Varambally, S., Christopher, R., & Gangadhar, B. N. (2013). Cortisol and antidepressant effects of yoga. Indian Journal of Psychiatry, 55(7), S405-8. https://doi.org/10.4103/0019-5545.116315

Tomiyama, A. J. (2019, Januar 4). Stress and Obesity. Annual Review of Psychology. Annual Reviews Inc. https://doi.org/10.1146/annurev-psych-010418-102936

Travers, C. (2011). Unveiling a reflective diary methodology for exploring the lived experiences of stress and coping. Journal of Vocational Behavior, 79(1), 204–216. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2010.11.007

Zänkert, S., Bellingrath, S., Wüst, S., & Kudielka, B. M. (2019, Juli 1). HPA axis responses to psychological challenge linking stress and disease: What do we know on sources of intra- and interindividual variability? Psychoneuroendocrinology. Elsevier Ltd. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2018.10.027

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